23. Oktober 2023, Tägliche Marktsicht

Wenn 5% zu einem Problem werden

Der Nahost-Konflikt ist nun auch an den Aktienmärkten angekommen. Der Boden für die schlechte Stimmung wurde aber schon zuvor durch die Zinsentwicklung in den USA vorbereitet.

Im Fokus

Der Nahost-Konflikt ist nun auch an den Aktienmärkten angekommen. Die Unsicherheit hat nach den Ereignissen rund am das beschossene Spital in Gaza zugenommen und den Kursen zugesetzt. Der Boden für die schlechte Stimmung wurde aber schon zuvor durch die Zinsentwicklung in den USA vorbereitet. Seit Anfang September ist die Rendite der 10-jährigen US-Treasury Note von 4.10% auf fast 5.00% gestiegen. Der Leitzins der Fed hat sich in dieser Zeit nicht verändert und mit 5.375% wohl seinen Höchststand erreicht. Die stark inverse Zinskurve in den USA ist Geschichte. Die Zinskurve der US-Treasuries zwischen den Laufzeiten von zwei und dreissig Jahren ist flach wie ein Bügelbrett. Die Rezessionspropheten, die in der inversen Zinskurve den unweigerlichen Fall in das tiefe Loch der Rezession gesehen haben, sind verstummt. Der wirtschaftliche Datenkranz ist aber nicht besser als im Sommer. Der Anstieg der Kapitalmarktzinsen dürfte die konjunkturellen Aussichten gar verschlechtern. Die Hypothekarzinsen sind in die Höhe geschossen, was dem bereits angeschlagenen Immobilienmarkt auch nicht hilft.

Der Zinssprung wird mit dem Zauberwort «higher for longer» begründet. Die Fed und ihr Präsident Powell haben nie gesagt, dass sie die Zinsen rasch wieder senken werden. Sie sagen aber auch nicht, dass sie die Zinsen nicht mehr senken werden. Ein Leitzins von fast 5.5% und Kreditzinsen von 6% oder mehr sind für die US-Wirtschaft auf Dauer nicht tragbar. Deshalb geht die Fed davon aus, dass sie den Leitzins ab Mitte des nächsten Jahres langsam wieder in einen konjunkturfreundlicheren Bereich senken wird und dass bis in zwei Jahren das konjunkturneutrale Niveau von rund 3.50% wieder erreicht sein wird. Die Finanzmärkte sollten damit beginnen, der Fed zuzuhören. Im Sommer waren die langen Zinsen zu tief, jetzt sind sie zu hoch. Im aktuellen Stand des Zinszyklus müsste die Zinskurve in den USA invers sein.

Die Zinsen in der Schweiz haben sich nicht wie üblich dem Gebaren jenseits des Atlantiks angeschlossen. Das ist gut so, denn an den geldpolitischen und konjunkturellen Aussichten hat sich hierzulande nichts geändert. Die Konjunktur schwächelt, aber die Gefahr einer spürbaren Rezession ist gering. Die SNB hat nach dem Verzicht auf eine Zinserhöhung im September mit einem Leitzins von 1.75% das Top erreicht und widmet sich wieder mehr der Franken-Steuerung. Die Zinskurve der Swapsätze, welche für die Kreditzinsen relevant sind, ist flach und pendelt um den Leitzins der SNB herum. Dass die Zinskurve in der Schweiz flach ist, macht Sinn, da mit Zinssenkungen der SNB länger nicht zu rechnen ist. Die Zinsen sind für die Wirtschaft auf dem heutigen Niveau kein grosses Problem. Da schmerzt die Stärke des Frankens deutlich mehr. Zudem ist das Potenzial für Zinssenkungen der SNB deutlich geringer als in den USA.

Wenn die Zinsen sich so schnell bewegen wie aktuell in den USA, spielen meistens nicht nur wirtschaftliche Faktoren eine Rolle. Solche Bewegungen lösen bei quantitativen Handelsmodellen Kauf- oder Verkaufssignale aus, die den Trend verstärken. Bei psychologisch wichtigen Marken wie den 5% spielen auch spekulative Derivatpositionen eine Rolle. Für die Finanzmärkte, insbesondere für die Aktienmärkte, wäre es jedoch von Vorteil, wenn sich das Ganze beruhigen würde. Dann würden beim Entscheid zum Kaufen oder Verkaufen wieder so langweilige Faktoren wie Inflation, Konjunktur und Geldpolitik wichtig sein.

Aktienmärkte

US-Aktienmärkte
Dow Jones: -0.86%, S&P500: -1.26%, Nasdaq: -1.53%

Europäische Aktienmärkte
EuroStoxx50: -1.61%, DAX: -1.64%, SMI: -0.95%

Asiatische Märkte
Nikkei 225: -0.78%, HangSeng: -0.72%, S&P/ASX 200: -0.89%

Der Nahostkonflikt ist an den Aktienmärkten angekommen. Zusammen mit steigenden Kapitalmarktzinsen ist das keine gute Kombination. Der S&P 500 verlor letzte Woche 2.39%. Die europäischen Aktien sanken 2.69%, während der Swiss Performance Index die Woche mit einem Minus von 4.72% abschloss.

Die Optimisten an den Finanzmärkten bilden momentan ein kleines Grüppchen. Als seien die Problemfelder mit den hohen Zinsen, einer hartnäckigen Inflation und einer drohenden Rezession nicht schon umfassend genug, hat der Ausbruch der Kämpfe in Israel die Unsicherheit zusätzlich erhöht. Die Risikofreude der Investoren hat weiter abgenommen und die klassischen sicheren Häfen wie das Gold oder der Schweizer Franken sind gesucht. Von Bedeutung für die Weltwirtschaft ist der Nahe und Mittlere Osten über den Export von Erdöl und Erdgas. Deutlich höhere Energiepreise würden die Bemühungen der Notenbanken, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, erschweren und die sich schon abschwächende Konjunktur zusätzlich belasten. Der Ölpreis ist gestiegen, befindet sich aber weit unter den Höchstständen des letzten Jahres. Solange Länder wie der Iran oder Saudi-Arabien nicht direkt in den Konflikt einbezogen sind, wird sich daran nichts ändern. Die direkten negativen Auswirkungen des Nahost-Konflikts beurteilen wir als gering. Die Unsicherheit wird jedoch bleiben. Stärker als durch den Nahost-Konflikt werden die Aktien durch den starken Anstieg der Kapitalmarktzinsen in den USA belastet. „Higher for longer“ heisst das neue Schlüsselwort an den Finanzmärkten. Zwar werden keine zusätzlichen Zinserhöhungen der Zentralbanken mehr erwartet, rasche Zinssenkungen aber eben auch nicht mehr. Darum fällt ein wichtiger positiver Impuls für die Aktien weg. Das wird sich wieder ändern, weil die Zinsen in den USA für die Wirtschaft auf dem heutigen Niveau ein Bremsklotz sind. Die Fed wird die ihren Leitzins ab dem nächsten Sommer daher wieder senken. Die Diskussion um den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung wird schon früher einsetzen, aber wohl erst nach der Jahreswende. Deshalb kann es an den Aktienmärkten in den kommenden Wochen ungemütlich bleiben und wir rechnen weiter mit erhöhten Kursausschlägen.

Kapitalmärkte

Renditen 10 J: USA: 4.976; DE: 2.889%; CH: 1.189%

Die Schwankung der Renditen bei den US-Staatsanleihen stellen sogar die Aktienmärkte in den Schatten. 10 Basispunkte hoch, gefolgt von 10 Basispunkten nach unten, und das innerhalb weniger Stunden, sind schon fast die Regel. Zum Glück lässt sich der Kapitalmarkt in der Schweiz davon nicht anstecken.

Währungen

US-Dollar in Franken: 0.8947
Euro in US-Dollar: 1.0575
Euro in Franken: 0.9461

Der Franken und der «Sichere Hafen». Das haben wir doch schon mal gehört. Einmal mehr hat sich bestätigt, dass der Franken beim Auftreten einer Krise jeglicher Art gesucht wird. Für den Euro gilt das Gegenteil, weshalb er zum Franken deutlich unter die Marke von 95 Rappen gefallen ist.

Rohstoffmärkte

Ölpreis WTI: USD 87.06 pro Fass
Goldpreis: USD 1'973.58 pro Unze

Der Ölpreis ist zwischenzeitlich auf 90 US-Dollar pro Fass gestiegen, liegt damit aber immer noch unter dem Wert der letzten Septemberwoche. Von einem dramatischen und gefährlichen Anstieg der Energiepreise zu sprechen, ist reichlich reisserisch und mit der Realität nicht vereinbar.

Wirtschaft und Konjunktur

Wichtige Konjunkturdaten gibt es keine zu interpretieren, weshalb wir uns dem Publikationsplan dieser Woche widmen können. Am Mittwoch wird der IFO-Index zeigen, ob die deutschen Unternehmen wieder optimistischer in die Zukunft schauen. Am Donnerstag tagt die EZB. Zinsveränderungen werden keine erwartet. Wichtiger werden die Tonalität und die Worte von Frau Lagarde an der Pressekonferenz sein. Am Freitag können Inflationsdaten aus den USA vor dem Wochenende noch einmal etwas Schwung an die Märkte bringen.

Thomas Stucki

Leiter Investment Center
Stauffacherstrasse 41
8021 Zürich
Ansicht vom Gebäude der Niederlassung der St.Galler Kantonalbank in Zürich